image Foto: Christoph Boeckheler

„Karin Kühn, Leiterin des Bereichs Diakonische Dienste, verabschiedet sich nach 35 Jahren bei der Diakonie in den Ruhestand.“

Karin Kühn, die Grande Dame der Wohnungslosenarbeit der Diakonie, geht in Ruhestand

Ihr Lachen wird fehlen: Karin Kühn, Arbeitsbereichsleiterin Diakonische Dienste bei der Diakonie Frankfurt und Offenbach, geht zum 1. Dezember nach 35 Jahren in den Ruhestand.

Als die Hohenloherin mit 27 nach Frankfurt kam, arbeitete sie direkt an einer Nahtstelle: Der Beratungsstelle für Männer an der Weserstraße im Bahnhofsviertel. Schon 1988 mit Crack-Nutzern vor dem Eingang, täglich Menschen vor Augen, die zusehends verfielen. Dabei geht es der gelernten Erzieherin und Sozialarbeiterin um das genaue Gegenteil: „Mit den Menschen sozialarbeiterisch umzugehen und schauen, dass sie von der Straße wegkommen“.

Ich war reif dafür
Berührungsängste mit Klienten, die auch mal aggressiv werden, hat Karin Kühn nie: „Ich habe keine Vorbehalte“, sagt sie mit fester Stimme. Den Aufbau des Tagestreffs für Wohnungslose im Untergeschoss der Weißfrauen Diakoniekirche bekam sie noch mit, 1999 wechselte sie als Leiterin zu „Lilith-Wohnen für Frauen“. Ihr Auftrag: Ein Zentrum für Frauen bilden. „Ich war reif für eine neue Herausforderung.“

Überzeugungskraft und Geduld
„Zu schauen, was die Menschen brauchen,“ – das zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Karriere. Immer neue Angebote für wohnungslose Männer und Frauen entstanden so im Laufe der Jahre. Überzeugungskraft und Geduld sind dafür nötig: „Als wir 2001 den 17-Ost Tagestreff für wohnungslose Frauen beim Zoo eröffneten, kamen anfangs fünf Frauen.“ Heute sind es rund 60 am Tag. „Ich bin dem Landeswohlfahrtsverband und der Stadt Frankfurt dankbar, dass sie als Geldgeber Geduld hatten,“ sagt die 63-Jährige.

Es geht um jede einzelne Frau – sie zu halten und zu retten
Auch als die Winternotübernachtung für Frauen im vergangenen Winter erstmals öffnete, kam sie zögernd in Gang: „Ich war überglücklich, als eines Nachts zehn Frauen übernachteten“, sagt Kühn. Sie weiß: „Frauen auf der Straße haben ein härteres Los als Männer, sie sind stärker von körperlicher und sexualisierter Gewalt betroffen.“ Zudem landen Frauen oft auf der Straße, weil sie eine Gewaltbeziehung beenden und dadurch die Wohnung verlieren. Wenn sie dann aus Sorge vor Gewalt auf der Straße wieder eine Beziehung eingehen oder bei Bekannten übernachten, erfahren sie möglicherweise erneut Gewalt – ein Teufelskreis: „Es geht um jede einzelne Frau, sie zu halten und zu retten.“

Sie brannten genauso wie ich
Genau das beflügelt Kühn und ihre Mitstreiterinnen: Sie schufen Arbeitsangebote für Frauen ohne Schul- oder Berufsabschluss – die Mode-Kreativ-Werkstatt mit Plätzen für Näherinnen und die Secondhand-Boutique Samt & Sonders. „Stark mit Kind“ für alleinerziehende Frauen und das Mentorinnen-Projekt „Rückenwind im Job“ folgten. „Die Projektleiterinnen brannten genauso wie ich“, sagt Kühn. Sie setzte Ideen beharrlich um, schrieb Konzepte, verhandelte mit Geldgebern, ließ nicht locker.

Housing First, Apartments für Frauen und ein Interims-Hygienecenter
2015 wurde sie Leiterin der Diakonischen Dienste, die die Arbeit mit Wohnungslosen in Frankfurt und Offenbach bündeln. Neuland betrat sie immer wieder: 2021 gemeinsam mit der Wohnungsbaugesellschaft GWH im Housing First-Projekt in Sossenheim, 2017 mit hochmodernen Einzelapartments und Clearing-Notbetten für Frauen bei „Hanna – Wohnen für Frauen“, 2022 mit „Lea“, 38 Apartments für wohnungslose Frauen in der Frankfurter Innenstadt. Und schließlich 2023 mit dem Interims-Hygiene-Center im Hof des WESER5 Diakoniezentrums. 2025 soll der Neubau des Sozialdienstes Offenbach Wohnungsnotfallhilfe an der Gerberstraße bezugsfertig sein.

Ein Ort für schwerkranke Menschen auf der Straße
Ein Projekt hat Karin Kühn schon lange in der Schublade und sie hofft, dass es bald realisiert werden kann: Ein Platz für Menschen auf der Straße, die sehr krank und psychisch auffällig sind. „Für diese Personen“, sagt Karin Kühn, „möchte ich einen Ort finden.“ Nun hört sie doch kurz vorher auf: „Ich möchte noch Kraft genug haben, meinen neuen Lebensabschnitt gut zu gestalten“, sagt Karin Kühn und lacht. Anknüpfungspunkte hat sie schon: Tiefe Eindrücke von einer Weltreise, die sie während einer Auszeit gemeinsam mit ihrem Mann Mitte der 1990er Jahre unternommen hatte. Und natürlich Bergwandern. Aber jetzt kommt erstmal Weihnachten, Bücher stapeln sich schon und die Yogamatte wartet. „Ihr Lachen“, meint eine Mitarbeiterin, „müssen wir uns auf Band aufnehmen“.


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