image Foto: Norbert Miguletz.

Das Fliegende Künstler:innenzimmer der Crespo Foundation bleibt bis April 2025 auf dem Gravensteiner Platz in Preungesheim.

Ein Ort, an dem vieles möglich wird

Das „fliegende Künstler:innenzimmer“ der Crespo Foundation feiert Halbzeit in Preungesheim

open“ leuchtet es neonfarben im offenen Fenster des „fliegenden Künstler:innenzimmers“ („FlieKü“) auf dem Gravensteiner Platz. Ein Mädchen steht davor, würfelt eine Zahl – vier. Janis Jirotka, Artist-in-Residence, lächelt ihr zu. „Du kannst ein Geheimnis oder etwas Peinliches hinterlassen. Willst Du?“ Das Mädchen greift zu Stift und Papier. Eine blonde Frau kommt ans Fenster, sie möchte mit ihrer kleinen Tochter ins Innere des Baus mit den hellen Holzschindeln hineinschauen. „Cool“ sagt sie und geht weiter.

Sich erinnern
Es ist ein lichter, warmer Tag. Janis Jirotka und Werkstudentin Nia Borufka schenken an die Besucher:innen am offenen Fenster des FlieKüs Tee aus: Rosenblüten, Apfel und Lavendel. „Nowruz Mubarak“, wünscht Janis Jirotka einer Besucherin, denn heute ist der Tag des persischen Neujahrsfestes. Eine Frau scannt mit ihrem Handy am „open window“ einen QR-Code, stöpselt Kopfhörer ein und macht sich auf einen Audiowalk, drei Minuten, rings ums fliegende Künstler:innenzimmer. Janis Jirotka lädt zu drei oder zwölf Minuten ein; sie führt zurück in Erinnerungen – im Audiowalk und auch im Würfelspiel am offenen Fenster.

Kulturelle Bildung für alle im Stadtteil
Das Quartiersmanagement der Diakonie Frankfurt und Offenbach in Preungesheim kooperiert gemeinsam mit dem Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt und weiteren Partner: innen im fliegenden Künstler: innenzimmer der Crespo Foundation. Zuvor ließ die Crespo Foundation die markanten Holzbauten bereits an hessischen Schulen aufbauen, in Preungesheim ist das FlieKü erstmals in einem städtischen Quartier gelandet, um kulturelle Quartiersentwicklung und Teilhabe zu fördern.
Im Frühling 2023 begann die Arbeit der Künstler:innen in Residence im FlieKü. „Alle Künstler:innen sprechen mit ihren verschiedenen Angeboten unterschiedliche Menschen an“, sagt Jana Weyer, Projektreferentin der Crespo Foundation für das fliegende Künstler:innenzimmer im Quartier. „Kulturelle Bildung braucht Zeit, es ist eine Beziehungsarbeit“, setzt sie hinzu.

Verborgene Talente
Janis Jirotka gelingt diese Beziehungsarbeit immer wieder. „Sie lud zu einer feministischen Schreibwerkstatt ein“, sagt Quartiersmanager Oliver Fassing. Eine Teilnehmerin schrieb einen Text, der von ihrer Kindheit, ihrem Einzug in Preungesheim erzählt. „Sie hat zum ersten Mal eine Geschichte geschrieben und fand damit eine Form, in die sie abends ihre Gedanken einfließen lässt. Sie ist sehr begabt, aber sie wurde nie gefördert.“ Der Quartiersmanager fragt sich: „Wie viele verborgene Talente gibt es hier in Preungesheim?“

Künstlerin Janis Jirotka lud zum Open Window ein. Foto: Susanne Schmidt-Lüer.

Atelier im öffentlichen Raum
Bis April 2025 werden verschiedene Künstler:innen, zu Gast im FlieKü sein. Weil es Zeit braucht, bis Vertrauen wächst, werden sie länger als die ursprünglich geplanten drei Monate bleiben. Bei ihrer Auswahl sprechen jetzt auch Bewohner:innen mit. Oliver Fassing sagt: „Bei einem Atelier im öffentlichen Raum gibt es Menschen, die sofort etwas damit anfangen können und andere, die nicht so einen Zugang zur Kunst- und Kulturszene haben. Die wollen wir aber auch erreichen.“ Mit Bilderbuchkino und Gedichtlesungen, mit einem Trickfilmangebot, Figuren, die aus Modelliermasse entstehen und vielem mehr, setzt das FlieKü kreative Impulse. Zum Beispiel immer donnerstags beim „Open House“ für Kinder und Erwachsene. Mal kommen 99 Personen in drei Stunden und manchmal, je nach Wetter, auch nur fünf.

Das Semra Ertan Zimmer
In der Lesungs- und Veranstaltungsreihe „Semra Ertan Zimmer“ im FlieKü lesen Besucher:innen Gedichte.
Sie erinnert an die türkische Dichterin (1957-1982) Semra Ertan, deren Gedichte heute aktueller sind denn je und die Besucherinnen anregen, von ihren eigenen Erfahrungen damit zu sprechen, hierzulande nicht gewollt und nicht akzeptiert zu sein.
In „Ögüt“ („Ratschlag“) schreibt die Autorin:

Lasst euch nicht unterdrücken
Lasst nicht zu, dass sie euch die Traumbilder von den Wimpern,
Den Namen von der Seele,
Die Stimme aus den Ohren stehlen

Auch zum Gedenken an Hanau gab es im FlieKü einen temporären Begegnungs-, Lern- und Erinnerungsort. Beides konzipierte die fliegende Künstlerin Janis Jirotka mit der Preungesheimer Arbeitsgemeinschaft Antidiskriminierung und Antirassismus und den Stadtteilflüster:innen. An einer Außenwand des FlieKüs sind die Bilder der neun in Hanau Ermordeten in Schwarz-Weiß angebracht. Innen haben Preungesheimer:innen Antworten auf die Frage „Was macht das mit mir?“ auf ein großes Papier geschrieben: „große Trauer“ – „wir werden abgeschoben von der AfD“ – „Ich fühle mich nicht sicher“ – „Ich bin anders und das ist gut so“ lauten Botschaften.

Das fliegende Künstler:innenzimmer im Quartier
Das fliegende Künstler:innenzimmer existiert seit dem Schuljahr 2018/2019 an Schulen in ländlichen hessischen Regionen. In Preungesheim steht das fliegende Künstler:innenatelier  von Frühjahr 2023 bis Frühjahr 2025 erstmals in einem ganzen Stadtteil. Es wird von der Crespo Foundation finanziert und durchgeführt. Ziel ist die kulturelle Quartiersentwicklung und die unmittelbare Teilhabe an Kunst und kultureller Bildung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien sowie allen anderen Stadtteilbewohner:innen. Neben der Diakonie Frankfurt und Offenbach als Trägerin des Quartiersmanagements in Preungesheim kooperieren das Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung sowie der NODE Verein zur Förderung digitaler Kultur e.V.


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