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Axel Geis Ausstellung

Figuren, die wie etwas Fremdes aus der Farbe wachsen, dieser eigenwilligen Anmischung aus Grau-Braun-Weiß-Eis: das ist das Allgemeine, was man zur Malerei sagen kann, das auch für seine Bilder-Welten hier an Ort und Stelle gilt.

Doch hier, an Ort und Stelle und zwischendrin, dieses plötzliche Blau als Bild-Hintergrund, aus dem, könnte man meinen, der Junge im weißen Matrosenanzug heraustritt. Nicht unbedingt leichtfüßig – eher mit dem, was ihn wie eine Ganz-Körper-Gloriole umgibt – kämpfend oder tastend …

…wie auch immer: aus dem dunklen Mittelpunkt des Blaus, ein Erstarren in der Bewegung… Moment-Aufnahme eines Momentes aus dem Film „Fanny und Alexander“, aus dem Axel Geis die meisten seiner hier gezeigten und für hier gemalten Figuren destilliert…

…der Knabe Alexander in nicht einfach zu charakterisierender Haltung. Ein imaginäres Raum-Blau: bei dieser Farbe denkt man allzu schnell an Yves Klein und vergisst allzu leicht, dass Blau auch die Farbe der himmlischen Sphäre ist. Es sieht aus, als ob der Junge die Balance suche, sich an der Farbe abstützte…im Film, hat mir Axel Geis gesagt, geht er eine (Wendel)Treppe hoch….

Hier lässt sich ein Geheimnisse der Geis`schen Malerei erkennen: Ein normaler Vorgang wird durch Weglassen eines mehr oder weniger wichtigen Details zu etwas Anderem…

Geis’ Konzeption des Loslösens, des Isolierens…das Entbindens seines Personals von konkreten Zusammenhängen, in denen sie dem Betrachter vertraut scheinen, erinnert auch an die einst so verwirrende Strategie von Marcel Duchamp, Dinge aus ihrer eigentlichen Funktion und den sozialen Bezügen zu lösen und sie als Kunst zu behaupten.

Wer ein wenig mit der Malerei von Axel Geis vertraut ist, dem dürfen ungestraft Namen wie Velázques, Zurbaran, Manet einfallen. Und – wenn auch nicht hier – kann man auch den „Orientalismus“ als eine Bezugsquelle seiner Malerei vermuten: jene wundersame doppelzüngige Sehsuchtmalerei, die im 19. Jahrhundert ihre höchste Blüte erreichte Und die so gekonnt platziert war auf der Schnittstelle von romantischen Fluchten, Männerphantasien nach exotischen Weibsbildern und kolonialistischer Verstrickung.

Es sind die Steil-Vorlagen in Kunst und Leben, die Axel Geis als seine eigensinnigen Menschenbilder auf die Leinwand zwingt. Solche Steil-Vorlagen, die sich auch als Vor-Bilder bezeichnen lassen, findet er in Familienalben, in Filmszenarien, in Gemälden anderer Maler. Kunst entsteht durch Kunst… und durch Erlebtes. Dies ist die einfache Wahrheit, die so schwer zu malen ist.

Bei Geis wird kräftig und rau-zart gemalt…und ganz in der Tradition der Moderne transformiert er das in Fotos, Filmen und in fremden Gemälden Vorgefundene auf seine Leinwände und lässt das fremde Personal als seineeigenen trotzigen, melancholischen Gestalten wiederauferstehen. Oft sind es Einzelfiguren, die sehr präsent auftauchen, oder auch wie nebensächlich da sind, einfach da sind, oder wie Erscheinungen aufflackern und dem Betrachter nicht selten ihren Rücken zuwenden, der dann die Betrachter in die Tiefe des Bildraumes lockt….

…nein, in der Alexander-Ausstellung lockt kein entzückender Rücken Betrachter in die Tiefen des Bildraums…doch die Tiefe des Raums hat durchaus auch hier und „an sich“ seine Verlockung in jenem Zwei-Personen-Bild, das ich jenseits seines Titels, gerne „Szenen einer Ehe“ nennen würde.

…dort wo die Frau geradezu skulptural platziert ist, wie ausgeschnitten mehr vor als im vielfarbigen Grau des Zimmers sitzt: Farbe, die aus der Distanz etwas Flüssiges hat, wie langsam schmelzendeTropfsteinhöhle…

…es ließe sich auch etwas „Sakrales“ imaginieren, Perspektivisches entdecken. Eine ferne Öffnung. Ein Fluchtpunkt jedenfalls, dem sich die Frau konsequent nicht zuwendet…Sie bleibt konstant von Kopf bis Körperhaltung Profil…und Distanz.

Obwohl Geis‘ früheren Bilder uns Anlass geben es zu vermuten, wissen wir nicht, ob die Ehefrau irgendwann, vielleicht in der Gespensterstunde ihres verlorenen Eheglücks, aufsteht und sich von der eis-grau-blauen Tiefe des Raum aufsaugen lässt…

…na ja, die Gedanken sind frei und ich bin nicht schuld und der Maler Axel Geis vermutlich auch nicht: Siegmund Freud ist schuld…

Das Stichwort „skulptural“ ist gefallen. Ich hebe es gerne auf: Die Malerei von Geis, das war von jeher meine Ansicht, hat etwas Skulpturales. Manchmal Gegenstände und Figuren, als wären sie aus der Farbe zur Form gezwungen. Dann wieder Protagonisten, als hätte der Künstler sie aus Pappkartons geschnitten oder aus Sperrholzplatten gesägt. Axel Geis hat Bildhauerei studiert, malen durfte er damals nur heimlich. Ob diese Geschichte stimmt, wissen wir nicht – aber sie ist gewiss wahr…

In Gesamtwerk des Künstlers ist ein Kommen und Gehen, ein Warten und Verwehen, ein Bleiben, ein Stehen, ein Ausharren. Und fast immer ist da ein tiefes, in sich selbst Versunken-Sein des Personals. Jeder ist für sich allein, das ist auch bei Axel Geis die melancholische Erkennungsmelodie, die vom Beginn der Moderne herüberklingt bis zu uns und in den Bilder-Zyklus „Alexander“.

Das Bildpersonal in „Szenen einer Ehe“ sind meine Kronzeugen: Die geradezu greifbare Nähe des Ehepaares, das vielleicht nie ein Liebespaar war und hier den gleichen nie gelebten Traum träumt: jeder für sich allein und ganz anders. Diese unendliche und schier unüberbrückbare Ferne der beiden Menschen – in unmittelbarster Nähe – hat Geis malerisch auf den tragischen Punkt gebracht…

Malerei allerdings bedeutet für Axel Geis – mit den großen und auch weniger großen Meistern der europäischen Kunst in Verbindung zu treten. Als Herausforderer…um sich mit einem Goya, einem Manet zu messen…wie sich eben auch schon ein Manet mit einem Goya, ein Picasso mit einem Manet gemessen haben. Das ist gute künstlerische Tradition.

Bei allem Respekt den Axel Geis den zur Kunst- und Filmgeschichte gewordenen Helden seines Gewerbes entgegenbringt: der Maler kämpft mit ihnen einen schweren und ehrgeizigen Kampf. Doch das tut er nicht aus sicherer Distanz. Sein Fight ist kein Fernduell, sondern er wird hautnah geführt. Der Kampfplatz liegt, sinnbildlich gesprochen, mitten in den Leinwänden oder, wie in unserem Fall, mitten in den Filmszenen von Ingmar Bergman. Und es geht auch immer um künstlerische Selbstbehauptung…

Wer in den Leinwänden von Geis allzu große Ähnlichkeiten mit seinen unterschiedlichen Vor-Bildern finden will, der sollte lieber gleich damit aufhören seine Gemälde zu betrachten. Denn das genau ist das zuspitzende Credo dieser Malerei und nur das macht Sinn: die Metamorphose – also die konkrete Überführung der „Vor-Bilder“ in die Unerkennbarkeit, in das Nicht-Wieder-Erkennbare

Man kann vermuten, dass bei ALEXANDER vor allem Filmfans Vorteile haben, die Geis` Gemälde dem Ingmar Bergman Film zuordnen können: Ich indessen gehöre nicht zu den Glücklichen. Das mag arrogant klingen, ist aber nicht so gemeint…es ist einerseits einfach einer konkreten Situation von Zeit und Möglichkeiten geschuldet. Anderseits liegt es auch an meiner Vermutung, dass es unter dem Siegel des Unerkennbaren eigentlich gleichgültig ist, um nicht zu sagen nutzlos, in Erfahrung zu bringen, welche Anregung ein jeweils konkretes Vor-Bild dem Maler Geis etwas zu bieten hatte….

…doch will ich dem – also mir – gleich widersprechen, da ich natürlich die glücklichen Momente kenne, eine Sache in einer anderen zu entdecken…Dennoch ist und muss die Kunst so stark sein, dass sie auch ohne die Kenntnis der Vor-Bilder sich im Konkreten, also überall, behaupten kann…ich habe für mich den Gedanken des „autonomen Bildes“ beim Alexander-Portrait auf die Spitze getrieben. Ich meines jenes „Bühnenbild“, das auch die Einladungskarte zur Ausstellung ziert…

In der Guckkastenbühne hat Axel Geis den Knaben Alexanders prominent positioniert. Ein gelangweilter Jüngling, der eher in sich schaut als auf seine Spielpuppen, die er gedankenverloren hin- und herschiebt…das Bild ist ganz Melancholie und Erinnerung mit vielen malerischen Irritationen auf kleinstem Raum…

…aber was heißt hier Alexander?! Diesen gemalten Geis-Jüngling kann ich mir ohne Anstregung als mutterverliebten Marcel imaginieren, den der große Dichter Proust sein Leben und das seiner Epoche in seiner genialen „Suche nach der verlorenen Zeit“ erzählen lässt…

Indessen: Ob Alexander oder Marcel – das Bild bleibt das Bild, bleibt das Bild des Axel Geis. Und das ist gut und schön: In einem gewissen Sinne, über den ich mir noch Klarheit verschaffen muss, scheinen mir die Bilder des Malers Axel Geis alle irgendwie auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Copyright, Rudij Bergmann, 2016

 

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