image Darbietung des Circus Oriental auf einem Stadtfest. © Heidi Fletterer,1991

„Leben am Stadtrand“ – die Wohngemeinschaft Bonameser Straße

Virtuelle Ausstellung über die Lebensform der „Fahrenden“

Das Foto ist atemberaubend. Elvira Schmidt und die Camilla-Mayer-Hochseiltruppe balancieren in schwindelerregender Höhe über den zerbombten Römerberg. Die Nachkommen der Hochseilartistin leben heute noch auf dem einstigen Wohnwagenstandplatz Bonames am Rande von Eschersheim. Sie sind Teil einer Gemeinschaft, in deren Geschichte die Circus-Dynastie der Althoffs ebenso verwoben ist wie die Traber-Hochseil-Truppe. Heute leben auf dem Platz rund 80 Menschen, teilweise bereits in dritter und vierter Generation. Es ist der einzige Ort in Frankfurt, an dem Zirkusartisten, Puppenspieler oder Altstoffverwerter die heute noch teilweise in Wohnwagen leben und für ihre Arbeit unterschiedliche Fahrzeuge brauchen, ein Zuhause finden.
Die einzigartige Lebensform der „Fahrenden“ zeigt das Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) in seiner ersten virtuellen Ausstellung. Sie ist noch bis zum 30. September unter http://www.stadtraumfrankfurt.de/bonameser-strasse zu sehen. Grundlage dafür ist die wissenschaftliche Arbeit von Sonja Keil. Die Mitarbeiterin des Diakonischen Werkes für Frankfurt und Offenbach leistet Gemeinwesenarbeit in der heutigen „Wohngemeinschaft Bonameser Straße“. Die Evangelische Kirche engagiert sich seit Mitte der 1950er Jahre für die Belange der „Fahrenden“.

Wer den virtuellen Ausstellungsraum betritt, wird in kurzen Texten in die Historie eingeführt. Dort ist zu erfahren, dass die Stadt Frankfurt 1953 Wohnwagenbewohner*innen aus dem ganzen Stadtgebiet auf das Gelände in Eschersheim umsiedelte. Teilweise lebten dort bis zu 1000 Menschen, anfangs gab es auf dem 17.000 Quadratmeter großen Gelände nur zwei Wasserhydranten. Investitionen der Stadt Frankfurt am Main ermöglichten eine Angleichung der Infrastruktur an das städtische Niveau.

Fotos, die das Leben der Wohngemeinschaft Bonameser Straße dokumentieren, prägen die Ausstellung. Artisti*innen vom Circus Oriental sind ebenso zu sehen wie Karussellbesitzer und Impressionen aus der Wohnwagensiedlung über die Jahrzehnte hinweg.

Die Ausstellung zeigt so einen kulturhistorisch wichtigen Teil der Frankfurter Geschichte.  Kuratiert wurde sie in Kooperation mit Sonja Keil, die mit ihrer Sozialstrukturanalyse die spezielle Personengruppe der „ambulanten Gewerbetreibenden“ in den Blick genommen hat. Ihre soziologische Studie bietet einen interessanten Einblick in die Dialektik von Ausgrenzung und Identitätsbewahrung durch Abgrenzung.

Die Ausstellung positioniert sich im gegenwärtigen politischen Konflikt um die Akzeptanz verschiedener Lebenswelten und Kulturen. Sie ist eingebunden in das Konzept StadtRAUMfrankfurt des AmkA, das verschiedenen Lebenswelten in der Stadt eine Plattform bietet. Auch das Diakonische Werk für Frankfurt und Offenbach setzt sich für gesellschaftliche Vielfalt, Toleranz sowie gesellschaftlichen Zusammenhalt ein, steht klar an der Seite der Bewohner*innen und befürwortet, dass diejenigen, die auf dem Gelände leben, dort auch bleiben können. „Wir möchten, dass auch diese Lebensform als gleichberechtigt anerkannt wird und wünschen uns eine respektvolle Haltung im Umgang mit den Menschen, die von Verfolgung, Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen waren und teilweise noch sind“, sagt Sonja Keil. Fast alle der heute auf dem Platz lebenden Familien haben Angehörige, die während der NS-Diktatur in KZs deportiert wurden, manche erlitten Zwangssterilisationen.

Die virtuelle Ausstellung im AmkA zeigt einen Einblick in das Leben der „Fahrenden“. Sie knüpft an das Buch „Soziale Wirklichkeit und Geschichte des Wohnwagenplatzes Bonameser Straße in Frankfurt am Main“ von Sonja Keil an und wurde in Zusammenarbeit mit dem Verlag Brandes & Apsel realisiert.

Am 17. September um 18.30 Uhr wird im StadtRAUMfrankfurt eine Diskussionsrunde die verschiedenen Facetten der Wohngemeinschaft Bonameser Straße beleuchten. Die Veranstaltung wird in einem Livestream übertragen.

Wer die Bewohner in einem Dokumentarfilm erleben möchte, schaut beim

Filmportrait – Nachbarn #25: WG Bonameser Straße von Esther Zetschky, Malte Rauch und Sonja Keil rein.


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