image ©Rolf Oeser

Nicht nur zur Weihnachtszeit: Martina Hoß, Reka Hussain und Mariel-Luise Ruscher engagieren sich ehrenamtlich im WESER5 Diakoniezentrum.

Es tut gut, etwas Sinnvolles zu machen

Freiwillige engagieren sich während der Pandemie im WESER5 Diakoniezentrum!

Nach Größen sortierte Schuhe, Hosen und Pullis in Stapeln: Immer dienstags und donnerstags werden im Tagestreff des WESER5 Diakoniezentrums im Frankfurter Bahnhofsviertel kostenlos Anziehsachen ausgegeben. Auf der Anzeige an der Wand leuchtet die Nummer des nächsten Kunden auf. Zwei junge Frauen stehen zusammen mit Ippokratis Sokrates Petridis an der kleinen Theke. Die drei arbeiten ehrenamtlich in der Einrichtung für Wohnungslose des Diakonischen Werkes für Frankfurt und Offenbach. Sie schauen in den Stapeln nach passenden Größen und Farben, und manchmal suchen sie auch ein besonderes Stück für einen speziellen Anlass. „Neulich fragte ein älterer Herr nach einem weißen Hemd“, erzählt Marie-Luise Ruscher. Die Ehrenamtliche kam mit ihm ins Gespräch und erfuhr, dass er das Hemd für ein Vorstellungsgespräch brauchte. „Das hat mich sehr beeindruckt, er war 80 Jahre alt und musste noch arbeiten, das hätte ich nie gedacht.“

Mir fiel die Decke auf den Kopf
In Begegnungen und Gesprächen erfahren die freiwillig Engagierten im WESER5 Diakoniezentrum, warum Menschen in die Lebenslage gerieten, in der sie jetzt sind: „Wir erhalten ganz neue Einblicke und wissen jetzt, dass Wohnungslosigkeit jeden treffen kann“, sagt Reka Hussain. „Wir nehmen die Leute ganz anders wahr als im Vorbeigehen auf der Straße, so bauen sich Vorurteile ab“, sagt Martina Hoß. „Die Menschen sind oft sehr dankbar, ich freue mich richtig, wenn ich jemandem ein besonders schönes Stück über den Tresen reichen kann“, erzählt Diane Selge. Zur Kleiderausgabe „kommen nicht nur Obdachlose, sondern auch andere, die nicht genügend Geld haben, um sich Kleidung zu kaufen“, beobachtet Marie-Luise Ruscher. Seit dem Sommer engagiert sich die 29-Jährige in der Einrichtung für Wohnungslose der Diakonie. Die Firma der Digital Marketing Managerin hatte Kurzarbeit angemeldet, genau wie die Airline, für die Diane Selge, Martina Hoß und Reka Hussain als Flugbegleiterinnen arbeiten. „Mir fiel zuhause die Decke auf den Kopf, ich wollte mich sozial einbringen“, erzählt Martina Hoß. Seit April arbeitet die 29-Jährige ehrenamtlich in der Kleiderausgabe des WESER5 Diakoniezentrums und überzeugte auch ihre Kollegin Reka Hussain, mitzumachen. Diane Selge meldete sich im Frühjahr bei der Einrichtung für Wohnungslose, „ich wollte schon länger gerne helfen.“  Auf ihren Wegen durchs Bahnhofsviertel waren den Frauen die Zustände dort aufgefallen: „Ich hatte das Gefühl, hier muss ich was tun,“ sagt Marie-Luise Ruscher.

Viel Zucker nach einer kalten Nacht
Auch Heike Leitschuh beobachtet eine Zunahme von Menschen in prekären Situationen im Bahnhofsviertel. Die Buchautorin und Moderatorin arbeitet dort in einer Bürogemeinschaft und setzt sich seit längerem kritisch mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Obdachlosen auseinander: „Sie werden bestenfalls ignoriert oder für ihre Situation selbst verantwortlich gemacht. Ich gerate häufig in Diskussionen mit Passanten, wenn ich Obdachlosen auf der Straße ein paar Münzen gebe“, sagt Leitschuh. Seit einem Jahr engagiert sich die 62-Jährige im WESER5 Diakoniezentrum: „In der Küche mache ich ein bis zwei Mal in der Woche beim Frühstück mit.“ Ab 8.30 Uhr bereitet sie 30 Teller vor, um 9 Uhr kommen die ersten Gäste. Inzwischen weiß Heike Leitschuh, wer wie viele Löffel Zucker in den Kaffee nimmt, meist sind es mehrere Portionen, denn die Besucher*innen brauchen „nach der Nacht in der Kälte ganz viel Energie am Morgen.“ Beim Tische Abräumen kommt sie mit den Gästen im Tagestreff ins Gespräch: „Mich faszinieren die Schicksale und mich interessiert, wie unsere Besucher ihre Situation bewältigen. Ich könnte keine drei Tage auf der Straße leben.“

Neue Einblicke, neue Erfahrungen
Martina Hoß und Reka Hussain sitzen gemeinsam mit Marie-Luise Ruscher im Multifunktionsraum des WESER5 Diakoniezentrums, ihr Einsatz in der Kleiderausgabe ist für heute beendet. Martina Hoß erinnert sich an die Begegnung mit einem Schüler, die sie besonders bewegte: „Er war 18 oder 19 Jahre alt, hatte keine Socken in seinen Turnschuhen und war extra zwei Mal nicht in der Schule, um die Kleiderausgabe nicht zu verpassen.“ Leise setzt sie hinzu: „Schon in dem Alter.“ Auch die Lage der älteren Besucher*innen des Tagestreffs, die nach einer „guten Jacke“ oder einem „guten Mantel“ fragen, beschäftigt die Ehrenamtlichen: „Manche arbeiten in einem Minijob, weil ihre Rente nicht reicht, sie essen im Tagestreff zu Mittag oder sind glücklich über einen günstigen Kaffee. Das ist eine ganz andere Perspektive auf das Leben als unsere. Wir können einfach zum Bäcker gehen und einen Kaffee holen, ohne groß über den Preis nachzudenken“.

Die Frauen erleben während der Kleiderausgabe viel Dankbarkeit, haben auch „schöne und lustige Begegnungen“, sagt die 28-jährige Reka Hussain. Ihre Kollegin Diane Selge freut sich über „den guten Zusammenhalt“ im Team. Auch wenn die Kurzarbeit endet, wollen sich die jungen Frauen weiter engagieren, so viel steht fest. Denn im Ehrenamt erlebten sie: „Es tut gut, rauszukommen und mit der Zeit etwas Sinnvolles zu tun“, so Marie-Luise Ruscher. Und Martina Hoß, die bei mehreren sozialen Organisationen aktiv ist, sagt: Vor einem Jahr hätte ich nie gedacht, diese Einblicke und diese Erfahrungen zu gewinnen.“

Mehr über das WESER5 Diakoniezentrum erfahren Sie hier.


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