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„Das muss man machen, das ist notwendig, um zu überleben“

Tom lebt mit seiner Freundin seit drei Jahren in Frankfurt auf der Straße!

Wer genau hinhört, erkennt ihn noch ein bisschen, den leicht bayrischen Sing-Sang. Dabei ist Tom schon länger weg aus seiner Heimatstadt Dachau. Der gelernte Maschinenbaumechaniker lebte schon in vielen Städten, vor drei Jahren kam er nach Frankfurt, lernte in der Bahnhofsmission seine Freundin kennen und blieb. Seit drei Jahren lebt das Paar in Frankfurt auf der Straße. „Die vorletzte Nacht war echt blöd, es hat geregnet, die Schlafsäcke und die Matte waren nass. Heute Nacht war es trocken, Gott sei Dank.“ Tom legt seine Brötchentüte vor sich hin, nimmt den schweren Rucksack mit all seinen Sachen von den Schultern. Das Wertvollsten trägt er in einer kleinen Umhängetasche, seinen Impfpass zum Beispiel. Tom zeigt die beiden Einkleber seiner Corona-Impfung: „Schon am 22. Juni“, sagt er stolz.

Mal wieder unterm Sternenhimmel schlafen
Die erste Zeit der Corona-Pandemie verbrachte er mit seiner Freundin am Frankfurter Flughafen. Da ist es warm und trocken, es gibt Toiletten und Waschräume. „Wir waren da elf Monate, in der ersten Zeit war es wie ausgestorben, wir schliefen direkt neben der Polizei, da hatten wir keinen Stress.“ Das Paar ging auch ins Büro der Aufsuchenenden Sozialarbeit der Diakonie im Terminal 1. „Sie gaben uns einen Gutschein für ein Mittagessen, sie waren sehr nett.“ Nach fast einem Jahr im Flughafengebäude „mussten wir mal wieder raus und unterm Sternenhimmel schlafen.“

Manche laden uns zum Essen ein
Zum Übernachten haben Tom und seine Freundin ein paar Stammplätze. „Eigentlich habe ich keine Sorge vor Überfällen“, sagt Tom, „nur einmal am Main war ne stressige Situation.“ Nachts bindet das Paar alle seine Sachen zusammen, legt sie hinter sich an die Wand, „da müsste schon einer über uns drübersteigen, und wenn sich jemand an den Sachen zu schaffen macht, wachen wir auf.“ Zwar kommen schon mal „komische Personen“ vorbei, sagt Tom, „aber manchmal fragen Leute auch ‚wie geht’s, wollt ihr eine rauchen, hier habt ihr Zigaretten, behaltet die Schachtel‘ oder sie fragen, ob wir Hunger haben.“ Tom kann einige Szenen erzählen von Passanten, die das Paar zum Essen in ein Schnellrestaurant einluden oder von der Frau, die ihnen beim Chinesen zwei Nudelboxen kaufte, „da waren wir echt hungrig und hatten schon nach Essen gesucht.“

Schnorren ist nicht schön
Tom und seine Freundin leben vom Flaschen sammeln. Vor Corona kamen da manchmal in ein paar Stunden Pfandflaschen im Wert von 30 Euro zusammen, im Moment ist das schwieriger, „gerade in der Gegend um den Hauptbahnhof sammeln viele, und wenn es kühler wird, haben die Leute auch weniger Durst“.

Im Laufe seiner Zeit auf den Straßen Frankfurts ist Tom härter geworden. „Früher hab‘ ich nur Dosen und Pfandflaschen genommen, die irgendwo rumstanden, ich schämte mich, im Müll nach was zu gucken, heute mach ich das.“ Und auch Leute zu fragen, wenn er dringend ein paar Euro braucht, fiel Tom früher schwer. „Schnorren“ nennt er das und schnorren mag er nicht. Aber auch das hat er sich angeeignet: „Am Flughafen habe ich jeden gefragt, das mache ich auch nicht gerne, aber das muss man machen, es ist notwendig, um zu überleben.“

Als ob man gar  nicht da wäre
Tom und seine Freundin kommen regelmäßig in die Bahnhofsmission, gelegentlich auch ins WESER5 Diakoniezentrum: „Mich kennen hier wirklich viele.“ Manchmal hat er Glück, „einmal habe ich geschnorrt und auf Anhieb 50 Euro bekommen, da habe ich dann gleich Feierabend gemacht.“ Aber es gibt auch Leute, „die frage ich nach einer kleinen Spende, die sehen einen dann gar nicht und tun so, als ob man gar nicht da wäre.“ So was ärgert ihn: „Das ist keine feine Art, die können doch zumindest ‚Nein‘ sagen, das hat doch auch was mit Anstand und Höflichkeit zu tun und mit Respekt.“

Die Stadt soll 100 Plätze für Menschen auf der Straße schaffen
Nachts schlafen Tom und seine Freundin selten durch. „Wir werden öfter wach, weil es regnet oder sonst was ist, manchmal sind wir jede Stunde wach und morgens dann wie gerädert.“  Wenn es Winter wird, möchte Tom gerne für sich und seine Freundin ein Zimmer: „Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, wir haben keine hohen Ansprüche, Hauptsache ein Dach über dem Kopf, wo wir abends hinkönnen und die Tür zumachen.“ Die Stadt Frankfurt könnte doch leerstehende Häuser ein bisschen aufpäppeln und 100 Plätze für Menschen auf der Straße schaffen, „das wär‘ doch mal was.“

Auch arbeiten wäre nicht schlecht
Tom hat nach seiner Ausbildung ein bisschen gearbeitet, „dann ging es halt so los“, sagt er. Alkohol trinkt er selten, „mein Vater war Alkoholiker meine Mama sagte, es sei besser zu kiffen, mit zwölf habe ich angefangen.“ Schon mit 20 Jahren lebte Tom kurz auf der Straße, dann hatte er sich wieder gefangen, war acht Jahre mit einer Frau zusammen, dann kam die Trennung. „Ich hab schon viel gesehen“, sagt Tom. In Berlin und Hamburg, Bremen, Fulda, München, Karlsruhe und Wiesbaden hat er gelebt. Mal mit Wohnung, mal bei der Heilsarmee, mal auf der Straße. 39 Jahre ist er jetzt alt. „Auch Arbeiten wäre nicht schlecht“, sagt Tom, „aber dafür muss man richtig schlafen, auf der Straße zu übernachten ist da nix.“ Wenn man arbeitet, sagt Tom, „hat man über den Tag was zu tun und am Ende des Monats würde man sehen, was man gemacht hat“.

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