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Cristina Cristescu (zweite von rechts) mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Bernd Reisig (mit Mikrofon) und der Film-Crew.

„So sieht unser Frankfurt aus!“

Vier Menschen ohne Obdach filmen ihr Leben in Frankfurt – Filmpremiere in der Astor Film Lounge

„Nur den Pfand bitte.“ Pascal Tubbesing reicht den Bon über das leere Fließband an die Kasse. Der Bon ist der Erlös seiner Arbeit aus dem Sammeln von Flaschen und Dosen, die Pfand einbringen. Während er weitergeht, filmt Pascal Tubbesing mit einer kleinen, am Körper angebrachten Kamera seinen Weg, mit dem Mikrofon zeichnet er seine Gedanken auf: „Neulich bin ich sehr erschrocken, da wurde mir Geld abgeknöpft mit dem Messer, nachts. Ich hab auch ein bisschen Angst.“
Tubbesing ist Teil eines Filmprojektes von drei Männern und einer Frau, die regelmäßig im Diakoniezentrum WESER 5 Station machen. Die Idee, Klient:innen der Diakonie Frankfurt und Offenbach mit einer Kamera auszustatten, damit sie ihr Leben auf der Straße selbst filmen, hatte Bernd Reisig, Vorstandsvorsitzender der Bernd Reisig Stiftung. „Wir wollten dem eindimensionalen unechten Blick vieler Fernseh-Dokumentationen über das Bahnhofsviertel etwas entgegensetzen und haben vier Menschen ausgesucht, die uns die Stadt aus ihrer Sicht zeigen“, sagte Bernd Reisig bei der Filmpremiere von „So sieht unser Frankfurt aus!“ in der Astor Film Lounge im My Zeil Kino.

Wasser teilen
„Sammle Flaschen, sammle Essen, alles, kein Geschenk“ sagt Sebastian, der sein Leben am Frankfurter Flughafen mit der Kamera festgehalten hat. Inzwischen ist er in sein Heimatland Polen zurückgekehrt, unterstützt von der Aufsuchenden Sozialarbeit der Diakonie am Frankfurter Flughafen. Während Sebastian mit einem Einkaufswagen und einem prall gefüllten Sack voller Pfandflachen durch das Terminal steuert, trifft er einen Kumpel. „Wasser?“ fragt er den anderen „Ich hab“ antwortet dieser. „Mach’s gut Bruder“ verabschiedet sich Sebastian liebevoll.

Es gibt viel zu tun, wenn die Kälte kommt
Auch Cristina Cristescu aus Bukarest lebt in Frankfurt vom Pfandflaschen Sammeln. Mit der Kamera filmt sie nicht nur sich selbst wie sie in ihrer notdürftig mit Planen verkleideten Gartenhütte im Freien Hähnchen brät und Kartoffelbrei zubereitet. Sie führt die Zuschauenden im vollbesetzten Kino auch ganz früh morgens durch die grauen Straßen des Nordends. „Ich hab Angst, ich tu‘s auch nicht gerne, aber so verdiene ich mein Geld ehrlich.“ Und: „Wer möchte zu dieser Zeit auf die Straße außer ich und die anderen Obdachlosen.“ Sie wünscht sich Arbeit, sagt Cristescu, die bei der Filmpremiere zu Gast ist. Und eine Wohnung. Im Film sagt sie: „Es gibt viel zu tun, wenn die Kälte kommt. Alles in allem sehe ich mich als glückliche Person, weil ich einen Platz zum Schlafen habe.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Eintracht-Trainer Oliver Glasner
Mit im Publikum bei der Filmpremiere saßen auch Eintracht-Trainer Oliver Glasner und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Kuratoriumsmitglied in der Bernd Reisig Stiftung. „Der Film hat mich sehr bewegt“, sagt Faeser in ihrer Ansprache. Obdachlosigkeit, die „schlimmste Form der Armut“, sei viel beleuchtet worden, aber nie aus der Perspektive der Betroffenen. Und sie verspricht: „Als Bundesregierung haben wir uns das Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit zu überwinden. Als Staat müssen wir handeln, wir können es nicht hinnehmen, dass Menschen unwürdig leben müssen.“ Diakoniepfarrer Markus Eisele, Theologischer Geschäftsführer des Evangelischen Regionalverbandes, war sichtlich bewegt von dem Film: „Ich freue mich, dass unser WESER5 Diakoniezentrum und unser Engagement für von Wohnungslosigkeit Betroffene eine wichtige Rolle in den Kurzfilmen spielt. Es gehört zur DNA der evangelischen Kirche, sich um die Ärmsten zu kümmern.“

Ein Blumenstrauß von Cristina Cristescu
Das Film-Team, das unter der Leitung von Margarethe Konrad vier Kurzfilme aus den Dokumentationen der obdachlos Lebenden erstellte, erhält Blumensträuße von Nancy Faeser überreicht. Darunter auch die Filmstudierenden Lars Löw und Christina Schardt vom SAE Institute Frankfurt und Ralf Hildenbeutel, der die Filmmusik komponierte. Den Blumenstrauß, den Nancy Faeser ihr überreichte, nahm Cristina Cristescu nicht in ihr von Kerzen und batteriebetriebenen Lichtern erhelltes Zuhause ohne Strom und Wasser. Sie verschenkte ihn an Katrin Wilhelm, die Leiterin des WESER5 Diakoniezentrums.

Sozialarbeiter Qutaiba Al Jendi vom WESER5 Diakoniezentrum und Cristina Cristescu.

Sozialarbeiter Qutaiba Al Jendi vom WESER5 Diakoniezentrum und Cristina Cristescu. Foto: Monika Müller

Der Film „So sieht unser frankfurt aus!“ läuft am Donnerstag, 8. September 2022 um 17 + 19 Uhr in der Astor Film Lounge im „My Zeil“ Frankfurt, Zeil 106.
https://frankfurt.premiumkino.de/


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