November

HEADLINE FEHLT

Manchmal genügen wenige Worte, damit eine Hoffnungsgeschichte beginnen kann. Im Fall von Sabine Reuß waren es vier: „Geh mal zur Diakonie!“ Die heute 50-jährige Frau ahnte nicht, dass dieser Tipp ihr Leben retten sollte. Damals lebte sie seit fünf Jahren in einer kleinen Gartenkolonie in Frankfurt. Eine eigene Wohnung hatte sie schon lange nicht mehr.

Durch die toxische Beziehung zu einem Mann und seine Drogenkarriere war Sabine Reuß ganz unten gelandet, auch wenn sie selbst nie Drogen genommen oder getrunken hatte. Die Gartenhütte gehörte den Eltern des Mannes. „Keine Postadresse, nicht arbeitslos gemeldet, keine Krankenversicherung“, beschreibt sie ihre damalige Situation.

Sabine Reuß erntete die Früchte des Gartens und kaufte für Nachbarn ein. Sie brauchte wenig, ein Toastbrot und ein Glas Marmelade, vielleicht noch eine Pizza mussten für eine Woche reichen. Hin und wieder gelang es ihr, etwas Geld vom Gehalt ihres Ex-Freundes zurückzulegen, der mittlerweile selbst wohnungslos und bei ihr eingezogen war und gern sein Geld im Bahnhofsviertel verjubelte.

Das Schlimmste waren seine Ausraster, die Psychosen und Morddrohungen. Ruhe hatte sie nur, wenn er besoffen schlief. Dann kam ein Winter, in dem es nachts im Schlafraum minus 14 Grad kalt war. Kein Geld fürs Essen und nichts zu heizen. „Das kann es doch nicht gewesen sein“, sagte sich Sabine Reuß immer wieder. Ihr war klar, dass sie solch einen zweiten Winter nicht packen würde.

Sie dachte ernsthaft an Selbstmord, als sie ein Besucher der Gartenkolonie ansprach: „Geh mal zur Diakonie!“ Sabine Reuß ging, auch wenn sie sich davon nichts versprach. Umso größer die Überraschung: Bei der Diakonie war sie willkommen. „Und dann kam eins zum anderen, und das hat mir das Leben gerettet. Es ging alles sehr unkompliziert.“ Sie staunt heute noch darüber.

Ihr Antrieb war: „Ich muss da raus.“ Bei der Diakonie erhielt sie Geld für Passbilder, eine Postadresse im Tagestreff und Hilfe beim Hartz IV-Antrag und für die Krankenversicherung. „Steinchen auf Steinchen“, sagt Sabine Reuß über ihren neuen Lebensbau. Doch das größte „Steinchen“ sollte erst noch kommen. Sie erhielt Kontakt zu Mehri Farzan vom Sozialdienst Wohnen und Betreuen.

Der Sozialdienst hatte mit der GWH Wohnungsgesellschaft mbH Hessen das Projekt Housing First in Frankfurt-Sossenheim gestartet. Dort können wohnungslose Personen einen eigenen unbefristeten Mietvertrag erhalten und werden vom Sozialdienst Wohnen und Betreuen der Diakonie nach Bedarf begleitet. Innerhalb von zwei Tagen erhielt Sabine Reuß eine der zwölf Ein-Zimmer-Wohnungen.

Sie konnte es kaum glauben. Da stand ihr Name an der Tür. Sie hatte ein Zuhause. Sie war wieder wer. „Jeden Tag bin ich hingefahren, hab geguckt, ob der Schlüssel passt, hab mich hingehockt und einfach die Ruhe genossen.“ Die Diakonie half auch bei der Einrichtung. Diese Wohnung war kein „Fake“, wie Sabine Reuß anfangs geargwöhnt hatte.

Auch der Abschied vom Ex-Freund gelang. Sabine Reuß ist eine starke Frau. Kaum jemand hätte so kämpfen können wie sie, um zu überleben. Jetzt konnte sie beginnen zu leben. Die Wohnung ist ihr Reich, das ihr keiner nehmen kann. Und beruflich geht es ebenso voran. Sabine Reuß macht eine Ausbildung zur Erzieherin.

„Die Hoffnung nie aufgeben“, sagt sie. Was wiederum vier Worte sind.

bool(true)