Wenn Politik tiefe Einblicke in die soziale Realität erhält: Die LIGA der Freien Wohlfahrtsverbände Frankfurt am Main (LIGA Frankfurt) hat Vertreter:innen aus der Stadtpolitik sowie der Stadtverwaltung am 27. August erstmals zu einem sozialen Stadtspaziergang eingeladen. Ziel war es, an sechs Stationen exemplarisch aufzuzeigen, wie vielfältig soziale Arbeit in Frankfurt ist und welchen Beitrag sie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.
Gemeinsam unterwegs für den sozialen Zusammenhalt Der Spaziergang begann im Kindergarten Rimon der Jüdischen Gemeinde. Hier begrüßte Markus Eisele, Vorsitzender der LIGA Frankfurt, die Gäste gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des Gesamtvorstands. Er betonte, dass es darum gehe, Einblicke in die Welt der sozialen Arbeit zu geben und die enge Verbundenheit zwischen Stadtverwaltung, Politik und Wohlfahrt weiter zu stärken. Besonders mit Blick auf den Fachkräftemangel stellte er die zentrale Frage: „Was bedeutet es für unsere Stadt, wenn künftig weniger Menschen soziale Arbeit leisten, während der Bedarf gleichzeitig wächst?“
Kindergarten Rimon – Sicherheitsmaßnahmen sind Teil des Alltags Rote Äpfel aus Papier hängen von der Decke. Die Kinder des jüdischen Kindergartens haben sie gebastelt, um sich auf das kommende jüdische Neujahrsfest einzustimmen. Apfel mit Honig ist eine traditionelle Süßigkeit, und es gehört zum Konzept, dass die Kinder jüdische Traditionen kennenlernen. „Alle Religionen sind willkommen, auch bei den Erzieher:innen, wenn sie bereit sind, sich mit jüdischen Traditionen auseinander zu setzen und diese mitzutragen“, berichtet Leiterin Saskia Chmelnik.
Nach dem brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 gab es große Ängste, auch bei Mitarbeiter:innen des Kindergartens. Bei Ausflügen stelle sich die Frage: Können wir rausgehen? Wohin können wir gehen? Können die Kinder ihre Kippa offen tragen oder doch lieber ein Baseball-Cap darüber? Und die Pullis mit dem Davidstern ziehen sie im Moment bei Ausflügen nicht an.
Nachbarschaftsbüro Gutleut – Ein offener Raum für alle „Willkommen im Wohnzimmer des Kiez!“ So begrüßt die Quartiermanagerin Amanda Bruchmann die Gruppe aus Stadtverordneten von Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Die Linke und SPD im Nachbarschaftsbüro Gutleut der AWO. In der Ecke steht ein großer Kühlschrank, an der Wand hängt eine Stadtkarte, in einem Regal sind Spiele gestapelt. Sie habe extra nicht aufgeräumt, um einen authentischen Einblick zu ermöglichen.
„Der Grundgedanke ist, die Menschen an dem, was unsere Arbeit ausmacht, zu beteiligen“, erklärt Amanda Bruchmann. Gemeinsam mit Ehrenamtlichen ermöglicht sie wichtige Gemeinwesenarbeit. Ein großer Beratungsbedarf kann nicht vollständig abgedeckt werden. „Doch hier geht kein Fragender ohne eine Idee weg, wohin er sich wenden kann.“
Eine wichtige Anlaufstelle im Quartier ist auch die Kaffeestube Gutleut der Evangelischen Hoffnungsgemeinde. Hier erhalten insbesondere ältere und alleinstehende Menschen von Montag bis Freitag ein warmes Mittagessen für wenig Geld – finanziert ausschließlich über Spenden.
Haftentlassenenhilfe e.V. – Wenig Lobby für wichtige Arbeit Der Weg zur Haftentlassenenhilfe im Bahnhofsviertel führt in den 3. Stock – ohne Aufzug und nur über den Hintereingang. Jede Stufe verdeutlicht ohne Worte, welche Lobby straffällig gewordene Menschen haben. Der Verein kümmert sich schwerpunktmäßig um die Belange von inhaftierten, aus der Haft entlassenen und von Haft bedrohten Personen und will vor allem die soziale Lage verbessern, sodass eine Wiedereingliederung möglich wird. Zentrale Themen: Vermeidung von Inhaftierung und Wohnungslosigkeit, Existenzsicherung und Stabilisierung.
Die Vielzahl an Kostenträgern macht die Finanzierung komplex – und die gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist gering, das Spendenaufkommen gleich null.
WESER5 – Komplexe Probleme brauchen komplexe Lösungen Nah beim Hauptbahnhof ist das WESER5 Diakoniezentrum eine zentrale Anlaufstelle für Menschen ohne Wohnung der Diakonie Frankfurt und Offenbach. Hier ist im Tagestreff Weißfrauen und im Hygienecenter Vieles möglich: Duschen, Essen und Getränke für wenig Geld, Recherchen am PC, soziale Kontakte, Gepäckaufbewahrung, Kleidung und Ausruhen im geschützten Raum. Es gibt Aufsuchende Sozialarbeit, Beratung, Notübernachtung und Unterkunft in Apartments. Hier wird Hilfe zur Selbsthilfe geleistet.
Leiter Henning Funk schildert veränderte Bedarfe: „Durch die aufputschenden Drogen gibt es mehr Konflikte.“ Der Personalschlüssel werde nicht adäquat angepasst. Immer weniger gelinge es, Menschen in weiterführende Hilfsangebote zu vermitteln. „Wir können oft keine Perspektive anbieten“, fasst er zusammen. Das betreffe vor allem Menschen ohne Leistungsanspruch, die aus Osteuropa kommen. Für diese Personengruppe braucht es adäquate Hilfsangebote.
Caritas Elisabeth Straßenambulanz – Zunehmende Verelendung Seit 1993 ist die Elisabeth Straßenambulanz (ESA) des Caritasverbandes Frankfurt eine wichtige Anlaufstelle für Menschen in Wohnungsnot, die gesundheitliche Hilfe benötigen. „Wenn die Menschen zu uns kommen, fragen wir sie zunächst, was sie möchten“, berichtet Dr. Maria Goetzens. Sie können Kaffee trinken, dann folgt medizinische Versorgung oder Hygienemaßnahmen.
Die Leiterin schildert eine zunehmende Verelendung: „Die Klienten werden kränker und leiden oft unter verschiedenen Beeinträchtigungen wie psychische Erkrankungen, Behinderungen und Suchproblematiken.“ Etwa 75 Prozent sind nicht krankenversichert. Auch in der ESA wird deutlich: Die Dinge haben sich weiterentwickelt, aber die Finanzierung wird dem nicht gerecht. Ohne Spenden könnte die Ambulanz nicht bestehen.
DRK Kinder- und Jugendhilfe – Gutes bewahren DRK Einrichtungsleiterin Hannah Burkert stellte die verschiedenen Wohngruppen für Kinder und Jugendliche vor, zwei davon mit intensivpädagogisch-therapeutischer Ausrichtung. Die Kinder und Jugendlichen erhalten eine auf ihre individuellen Bedarfe zugeschnittene Betreuung in sämtlichen persönlichen Belangen. Aktuell ist viel Gutes über die Regelversorgung hinaus möglich. Doch auch hier zeigen sich steigende Kosten, unsichere Finanzierungen und Fachkräftemangel – alles eine Bedrohung für die Zukunftssicherheit der Angebote.
Als konkreten Impuls forderte Geschäftsführer Dierk Dallwitz, bei der städtebaulichen Planung stationäre Einrichtungen direkt mitzudenken. Oft sei schon die erste Schwierigkeit, geeignete Liegenschaften zu finden.
Fazit: Systemrelevant, aber gefährdet Mit dem sozialen Stadtspaziergang setzte die LIGA Frankfurt ein wichtiges Signal: Soziale Arbeit ist systemrelevant, braucht aber verlässliche Rahmenbedingungen, politische Unterstützung und gesellschaftliche Anerkennung.
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