image Foto: Mario Lubrich.

Ein „Wumms“ für das Sozialwesen

LIGA Frankfurt diskutierte beim Politischen Abend über Auswirkungen des Fachkräftemangels in der Sozialen Arbeit

Die LIGA Frankfurt, der Zusammenschluss der sechs Wohlfahrtsverbände AWO Frankfurt, Caritas Frankfurt, Diakonie Frankfurt und Offenbach, Der Paritätische Hessen, Deutsches Rotes Kreuz Frankfurt und Jüdische Gemeinde Frankfurt/M., hat erstmals zu einem Politischen Abend unter dem Motto „Stadtgesellschaft im Dialog“ eingeladen. Das Thema betrifft alle: „Systemrelevant –Systemgefährdet: Wenn sozialer Arbeit die Menschen fehlen.“

Zahl der Arbeitskräfte wird um ein Drittel zurückgehen
Was das bedeutet macht Diakoniepfarrer Markus Eisele, Vorsitzender der LIGA Frankfurt, gleich zu Anfang des Politischen Abends in der Evangelischen Akademie deutlich: „Deutschlandweit arbeiten zwei Millionen Angestellte im Sozialwesen in rund 120.000 Einrichtungen von Kindergärten bis zu Pflegeheimen. Ein enormer Wirtschaftsfaktor. Bis 2036 wird Prognosen zufolge die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland um 30 Prozent sinken, mitbetroffen sind die sozialen Berufe. Fachkräftemangel ist das Thema, zu dem der Soziologe Ingo Bode in seiner Keynote wertvolle Impulse liefert. Er nennt das Sozialwesen einen „Riesenwachstumssektor“, viel Personal sei aufgebaut worden und die Löhne gestiegen. Sozialdezernentin Elke Voitl nennt das Beispiel von Pflegekräften, die 2015 im Mittel 2500 Euro verdient hätten und heute 4150 Euro brutto. „Lasst uns aufhören, die Berufe schlecht zu reden“ appelliert sie.

Das Sozialwesen ist ein starker Demokratiefaktor
Frankfurts Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg, Stadtverordnetenvorsteherin Hilime Arslaner, Kämmerer Bastian Bergerhoff und Planungsdezernent Marcus Gwechenberger sind unter den aufmerksam lauschenden Gästen. Sozialdezernentin Elke Voitl freut sich über das Interesse: „Das Thema hat Gewicht in der Stadt“, sagt sie. Und: „Sozialpolitik ist das Fundament für das Zusammenleben in Frankfurt und zugleich auch ein Imagefaktor.“ Markus Eisele nennt den Sozialsektor einen „echten Demokratiefaktor“, gegenwärtig werde die Soziale Arbeit allerdings vielfach als „Kostenfaktor“ gesehen. Er mahnt: „Wir stabilisieren die Gesellschaft, unsere Arbeit sollte niemand schlecht reden.“

Foto: Claudia Spura

Der Baum brennt und seine Wurzeln vertrocknen
Professor Ingo Bode spricht in seiner Keynote von Trends wie Dauerstress der Beschäftigten in sozialen Berufen, dem täglichen Kampf ums Geld in den Einrichtungen und Innovationen im Sozialwesen, die nur noch kurzfristig über Projekte erfolgten. Und über allem drohe der Fachkräftemangel. Zugleich stiegen die Bedarfe an sozialer Intervention schneller als die Angebote und der Wohlfahrtsstaat arbeite an den Problemen eher halbherzig, er komme zu spät oder repariere an den falschen Stellen. Dies sei eine „Teufelsspirale im Problemdschungel“. Sein Gefühl sei, dass der Baum brenne und zugleich vertrockneten die Wurzeln.

Foto: Claudia Spura

Aufhören, sich gegenseitig Fachkräfte abzuwerben
In einer Zeit hoher Fluktuation bei den Fachkräften, emotionaler Erschöpfung und Managementstrategien, die zwischen Rücken stärken und autoritärem Auftreten wenn es eng werde wechselten, nannte der Wissenschaftler als Lösungsmöglichkeiten, in den Einrichtungen zu priorisieren und offen darüber zu reden, bei der kollegialen Beratung auf Augenhöhe zum Beispiel über emotionale Erschöpfung zu sprechen und vor allem: Die Konkurrenzmentalität im sozialen Sektor zu beenden. „Kommen Sie ins Gespräch, genau wie es heute Abend geschieht“, rief Bode den rund 70 Gästen zu. Und er ermutigte die Zuhörenden, die selbst vielfach im sozialen Sektor arbeiten mit dem Satz: „Es ist Nonsens, dass die Gesellschaft keine finanziellen Ressourcen hat.“ Das Sozialwesen sei zudem beliebt: „Der Schatz muss nur gehoben werden“. Im Publikum sitzt auch Nanine Delmas, die Leiterin des Frankfurter Jugend- und Sozialamtes und Verfasserin einer Publikation, die sich gegen das gegenseitige Abwerben von Fachkräften wendet, das sie als Kannibalisierung bezeichnet.

Franziska Zühlsdorff, Regionalgeschäftsführerin von Der Paritätische Frankfurt am Main und baldige LIGA-Vorsitzende sagte, ein Paradigmenwechsel sei nötig: „Wir können nicht mit weniger Leuten die gleiche soziale Arbeit wie bisher machen“. Sie plädierte dafür, den Trägern mehr Flexibilität bei der Anstellung von Nichtfachkräften zuzutrauen und auf deren Expertisen bei der Auswahl von Personen zu setzen, die intern weitergebildet werden können. Dazu gehöre auch die Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland.

Der Moderator des Abends, Feridun C. Öztoprak, fragte nach Möglichkeiten für einen stärkeren Schulterschluss zugunsten des Sozialwesens und nach Utopien. Professor Bode sprach von der „politischen Schlagrichtung aus Berlin“, die problematisch sei und einen „Herbst der Grausamkeiten“ erwarten lasse. Das Gebot der Stunde sei es, Einigkeit mit der politischen Mitte zu suchen, zu der auch die CDU zähle. Da das Sozialwesen die Lösung für viele Probleme sei, wäre es wichtig, eine Kampagne zu machen und extrem viele Ressourcen in den Sozialen Sektor zu geben. „Einen Wumms da reinzustecken wäre meine Utopie.“ Diakoniepfarrer Markus Eisele setzt auf eine „Kulturveränderung“ die Träger und Verbände sollten mehr aufeinander zugehen und mit der Stadt als Lösungspartnerin ins Gespräch gehen. Während Amtsleiterin Nanine Delmas am liebsten in allen 40 Frankfurter Quartieren Quartiersmanagements etablieren und mit eigenen Budgets investieren würde, um das Zusammenleben dort zu verbessern, sagt Steffen Krollmann von der AWO: „Wir Träger stehen immer im Wettbewerb, aber in der LIGA Frankfurt sind wir solidarisch. Ich bin optimistisch und dankbar, in Frankfurt zu sein, hier gibt es ganz viele schlaue Köpfe.“

www.liga-frankfurt.de


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