Festakt zu 75 Jahren Evangelische Familienbildung in Frankfurt und Offenbach
Selbst Felix Schwenke war da. Der Offenbacher Oberbürgermeister reiste eigens nach Frankfurt, um an der Festveranstaltung 75 Jahre Evangelische Familienbildung Frankfurt und Offenbach teilzunehmen. Gut gelaunt stellte er in seiner Rede vor 120 Gästen in der Evangelischen Akademie Frankfurt fest: „Der Tag hat gut begonnen, keiner hat einen Offenbach-Witz gemacht“. Auch die Frankfurter Dezernentin Annette Rinn, die Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef vertrat, konnte daran nichts ändern, sie trat erst nach Felix Schwenke ans Rednerpult. Der Offenbacher Oberbürgermeister würdigte die Arbeit der Evangelischen Familienbildung Offenbach und Zion als „Bereicherung“, die Familienbildung biete Orte der Begegnung und Beteiligung. Die Ermutigung von Eltern nannte der Offenbacher OB einen „enormen Beitrag zum Kinderschutz“. Die Evangelische Familienbildung, die in Offenbach in Trägerschaft der Evangelischen Frauen 1977 begann, sei ein „wichtiger Partner – wenn ein Problem da ist, helfen Sie uns“.
Der Offenbacher OB Dr. Felix Schwenke. Foto: Goy Le
Eine Million Menschen in 75 Jahren erreicht Silvia Genz, Bereichsleiterin Bildung im Evangelischen Regionalverband und Clemens Niekrawitz, Leiter der Evangelischen Familienbildung in Frankfurt und Offenbach, hatten zuvor die Gäste des Festakts bei Livemusik und Häppchen begrüßt. Viele ehemalige und heutige Mitarbeitende, Kooperationspartner und andere Gäste trafen sich beim Jubiläum, wieder, betrachteten lächelnd Fotos aus der Geschichte der Familienbildung und Bilder vom Malwettbewerb „So ist für mich Familie“. Im Laufe der vergangenen 75 Jahre hat die Evangelische Familienbildung rund eine Million Menschen erreicht, schätzt Silvia Genz. Aktuell arbeiten 23 Hauptamtliche und mehr als 200 Honorarkräfte für die Familienbildung in Frankfurt und Offenbach.
Gäste der Festveranstaltung küren die Gewinner:innen des Malwettbewerbs „So ist für mich Familie“. Foto: Goy Le
Von der Last und von schönen Momenten Die Arbeit der Evangelischen Familienbildung ist „aus dem Leben unserer Kirche nicht wegzudenken“, sagte Propst Oliver Albrecht: „Hier kommen verschiedene Kulturen und Religionen zusammen, alte und junge, queere und binäre Menschen.“ Evangelische Familienbildung stelle immer wieder neu die Frage: „Was braucht man eigentlich?“. Diakoniepfarrer Markus Eisele richtete ein großes Dankeschön an die Mitarbeitenden der Evangelischen Familienbildung. Die neun Standorte der Evangelischen Familienbildung in Frankfurt und Offenbach seien „Orte, wo Familien von der Last und von den schönen Momenten berichten und Fragen angstfrei stellen können.“ Es seien Orte, an denen sich das Leben niedrigschwellig, dezentral und sozialraumorientiert entfalte und „an denen Demokratie gelebt wird“.
Gleichgeschaltet in der NS-Zeit Weit zurück in die Geschichte von Familien und Familienbildung blickte Professorin Ute Müller-Giebeler von der Technischen Hochschule Köln in ihrem Impulsvortrag. Die um 1917 gegründeten Mütterschulen, die Vorläuferinnen der Familienbildung, hätten keine Probleme gehabt, sich in der NS-Zeit gleichschalten zu lassen. Deshalb seien sie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst worden. Aber auch in den Neugründungen (in Frankfurt im Mai 1949) seien Frauen und die mütterliche Persönlichkeit Herzstück der Arbeit gewesen. Erst mit den Studentenprotesten und dem gesellschaftlichen Aufbruch in den 1970er Jahren änderte sich nicht nur der Name in Familienbildungsstätten, sondern auch das Konzept. Nicht länger die Belehrung stand im Zentrum, sondern der Austausch, das Miteinanderlernen, die Demokratieerziehung.
Einen neuen Blick gewinnen Und heute? In einer Forschungsarbeit für das Familienministerium in Nordrhein-Westfalen fand das Team um Müller-Giebeler heraus, dass Familien an erster Stelle beschäftigt wie eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kindern sowie innerhalb der Familie gelingt. An zweiter Stelle steht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Wirkung von Familienbildung wurde von Teilnehmerinnen als „sehr, sehr hoch“ eingestuft. „Es hilft mir, ich gewann einen neuen Blick, ich kann es umsetzen“ lauteten Antworten. Kursteilnehmerinnen stammten vor allem aus der Mittelschicht, aber wenn Familien mit Migrationsgeschichte den Weg zur Familienbildung fanden, lagen ihre Zustimmungswerte nochmal deutlich höher.
Zugriff des Arbeitsmarktes auf die Familienzeit Als Problem wurde in Nordrhein-Westfalen ein „gravierender Personalmangel“ benannt. Auf 817 Vollzeitäquivalent-Stellen kämen dort 19.000 Honorartätigkeiten und 44 Prozent der Familienbildungskräfte seien bei der Evangelischen Kirche. Woran die Personalknappheit liegt? Fast 90 Prozent der Festangestellten sind weiblich, mehr als 80 Prozent der Honorarkräfte und um die 80 Prozent der Kursteilnehmerinnen sind ebenfalls weiblich. Als zwischen 2005 und 2022 die Erwartungen am Arbeitsmarkt stiegen, dass Mütter wie Väter zu hohen Anteilen Vollzeit arbeiten, wirkte sich dies auch auf potentielle Honorarkräfte und Kursteilnahmen aus. Müller-Giebeler sprach von einer „Familienfeindlichkeit“ und einem „Zugriff des Arbeitsmarktes auf die Familienzeit“. Sie forderte: „Alle Geschlechter sollen Zeit für Familie und für Familienbildung haben können.“
Bildung muss zweckfrei bleiben Das Credo der Expertin für die Zukunft der Familienbildung: Sie muss fachlich ein eigenes Profil entwickeln und ein explizites Selbstverständnis, das auf zweckfreier Bildung aufbaut und nicht instrumentalisiert werden darf, auch nicht für Prävention. „Wenn wir es so machen, lösen wir es ein, dass Erwachsene selbstgesteuert zu vernünftigen Ergebnissen kommen.“
Das hauptamtliche Team der Evangelischen Familienbildung in Frankfurt und Offenbach. Foto: Goy Le